Rrrummmms – fällt die Tür des Kinderzimmers ins Schloss: „Keiner versteht mich! Lasst mich doch alle in Ruhe!“ Fast alle Kinder, Jugendlichen und Eltern kennen solche Situationen. Ärger in der Schule? Schlechte Noten? Streit mit den Freunden? Mobbing? Stress mit den Eltern? oder einfach kein Bock auf nichts?
Ein Stück weit sind solche Situationen und die dahinterstehenden Belastungen Teil einer „normalen“ und altersgerechten Entwicklung. Nicht immer läuft alles so, wie wir es uns wünschen. Die schulischen Anforderungen wollen bewältigt werden, soziale Kompetenzen und das Steuern der eigenen Gefühle müssen erst gelernt werden, die gute Mischung aus Bindung und Autonomie muss gefunden und die eigene Persönlichkeit entwickelt werden.
Wann spricht man von psychischen Störungen?
Manchmal geht die Belastung über das Maß hinaus, genetische Dispositionen und ungünstige Umweltfaktoren wirken zusammen, und es entstehen psychische Erkrankungen – auch bei Kindern und Jugendlichen.
Bei rund 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland liegen laut KiGGS-Studie psychische Auffälligkeiten vor. Das Spektrum umfasst genauso wie bei Erwachsenen Erkrankungen wie Depression, Angst und Panik, Zwang, Tics, Autismus oder Störungen des Sozialverhaltens. Diese äußern sich jedoch oft durch eine andere, vielleicht auch untypischere Symptomatik als bei Erwachsenen. Darüber hinaus gibt es Erkrankungen, die speziell mit den Entwicklungsaufgaben der Kinder und Jugendlichen zusammenhängen: Verzögerungen in der Sauberkeitsentwicklung, Lern- und Leistungsstörungen, Trennungsängste, Ess-Störungen, … auch die Post-Corona-Lockdown-Phänomene und manche individuellen Entwicklungen müssen Beachtung finden.
Wie lassen sich „normale“ Entwicklungen von Erkrankungen unterscheiden? Wann sollen wir uns Unterstützung holen? Das sind die Fragen, die sich sowohl die Kinder und Jugendlichen als auch die Eltern und das Umfeld oft stellen. Grundsätzlich gilt: Wenn ich mich belastet fühle und meine bisherigen Bewältigungsversuche nicht oder nur wenig bewirkt haben, kann es sinnvoll sein, einen Experten hinzuzuziehen.
Was ist die Kinder- und Jugendpsychiatrie?
Aufgabe der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist es, gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen, ihren Bezugspersonen und ihrem Umfeld, die Problematik zu analysieren, die Symptome gemäß den diagnostischen Leitlinien einzuordnen, ein individuelles Behandlungskonzept zu entwickeln und mit den Patienten umzusetzen.
Die Kinder- und Jugendpsychiatrie ist ein relativ junges Fachgebiet, das sich besonders in der ambulanten Versorgung in den letzten 30-20 Jahren in Deutschland so gut entwickelt und verbreitet hat, dass den Patienten jetzt endlich in zumutbarer Reichweite Experten zur Verfügung stehen. Es verbindet entwicklungspsychologische, psychotherapeutische, pädagogische, systemische, (neuro)pädiatrisch-somatische und psychiatrische Aspekte, um die vielfältigen Fragestellungen einzuordnen und zu behandeln.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Dementsprechend arbeiten in diesem Fachgebiet auch verschiedene Disziplinen eng zusammen. Neben den Fachärzten sind in den Behandlungsteams oft Psychotherapeuten, Psychologen, Sozial- und Heilpädagogen sowie Pädagogen oder Ergotherapeuten und Logopäden aktiv. Die Kooperation mit dem Umfeld des Patienten (zum Beispiel Schule, Therapeuten, Jugendhilfe) ist ebenso ein wesentlicher Bestandteil wie die Arbeit mit den Patienten selbst.
Was sind typische Kinder- und jugendpsychiatrische Erkrankungen?
In früher Kindheit sind es zum Beispiel ausgeprägte Ängste wie Trennungsangst beim Kindergartenbesuch oder Schlafstörungen, die die Familien belasten. Ein- oder Durchschlafstörungen können für alle Beteiligten im wahrsten Sinn des Wortes sehr ermüdend sein. Auch Schwierigkeiten, sich in die neue Gemeinschaft der Kita-Gruppe einzufinden, fordern die Kinder und ihre Familien heraus – sei es aufgrund umtriebig-störenden Verhaltens oder aufgrund übermäßiger Schüchternheit. Mögliche Entwicklungsstörungen beeinträchtigen auch den Übergang in die Schule, so dass eine ausführliche Entwicklungs- und Intelligenzabklärung sinnvoll sein kann, um den Start ins Schulleben möglichst positiv zu gestalten.
Während der Grundschulzeit sind es vor allem Konzentrations- und (Teil)leistungsstörungen, die Kinder und ihre Familien verzweifeln lassen. Lesen, Schreiben und Rechnen müssen verstanden und geübt werden, aber auch Kompetenzen wie zielgerichtet zu arbeiten und ruhig sitzen zu bleiben, müssen erst gelernt werden. Was aber, wenn dieser Schritt nicht gelingen will? Woran liegt es? Welche Hilfen gibt es? Und was tun, wenn Kinder ihr Selbstvertrauen verlieren und nicht mehr zur Schule gehen wollen? Auch Herausforderungen in Verbindung mit einer verzögerten Sauberkeitsentwicklung wie Einnässen oder Einkoten erfordern eine kompetente Behandlung, die somatische wie pädagogische Aspekte in das Behandlungskonzept einbezieht und behutsam „step by step“ mit dem Kind umsetzt.
Mit der Pubertät tritt die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit in den Vordergrund. Und damit einerseits die Bedeutsamkeit von Gleichaltrigen und andererseits ein neues Verhältnis zu den eigenen Eltern. Autonomie und Bindung müssen ein neues Gleichgewicht finden. Wer bin ich? Wie sehen die anderen mich? Und vor allem: Wer will ich sein? Zurückweisungen durch Gleichaltrige bis hin zu extremen Erfahrungen wie Mobbing können zu ernsthaften psychischen Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen, selbstverletzendem Verhalten oder Ess-Störungen führen. Konflikte mit den Eltern sind an der Tagesordnung, Regeln werden hinterfragt und übertreten. Der Kampf um die tägliche Mediennutzung zermürbt Eltern wie Jugendliche. Wo fangen Sucht und Abhängigkeit an, wo dissoziales Verhalten?
Beim Übergang ins Erwachsenenalter (Adoleszenz) schließlich sind es die großen Fragen nach Beruf, Eigenständigkeit und dem eigenen Selbstverständnis, die Jugendliche und ihr Umfeld beschäftigen. Wie sind meine Berufsaussichten? Schaffe ich den Abschluss? Was, wenn ich nicht meinem Ideal oder den Wünschen der anderen gerecht werde? Wenn meine sexuelle Entwicklung anders ist als die „Norm“? Fehlende Perspektiven und fehlende Zugehörigkeit können Depressionen oder Ängste, aber auch Suchterkrankungen oder Störungen des Sozialverhaltens nach sich ziehen. Wo ist Unterstützung notwendig, damit der junge Erwachsene noch „nachreifen“ kann?
Selbstverständlich gibt es auch psychische Störungen, die Kinder, Jugendliche und Erwachsene ein Leben lang begleiten, wie zum Beispiel Autismus-Spektrum-Störungen. Bleibend sind aber auch Störungen, die infolge traumatischer Erfahrungen entstehen und dann dringender Behandlung bedürfen.
Wann ist es Zeit für professionellen Rat?
Nicht jede knallende Tür ist ein Hinweis auf eine psychische Erkrankung. Aber sie ist für Eltern vielleicht ein Zeichen, mal genauer hinzusehen. Wo sind unsere aktuellen Belastungen? Wie gehen wir damit um? Brauchen wir Unterstützung? Lautet die Antwort auf diese Frage ja, sollte man nicht zögern, sich professionellen Rat und Hilfe zu holen – bei Experten für psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen – den Kinder- und Jugendpsychiatern.